PRINZIPIEN:
Das Prinzip der Konnexion und der Heterogenität: Jeder beliebige Punkt eines Rhizoms kann und muß mit jedem anderen verbunden werden.
Das Prinzip der Vielheit: Eine Vielheit hat weder Subjekt noch Objekt; sie wird ausschließlich durch Determinierungen, Größen und Dimensionen definiert, die nicht wachsen, ohne daß sie sich dabei gleichzeitig verändert. In einem Rhizom gibt es keine Punkte oder Positionen wie etwa in einer Struktur, es gibt nichts als Linien. Auch gibt es keine Maßeinheiten, sondern nur Maßvielheiten oder Maßmannigfaltigkeiten. Die Einheit operiert immer im Inneren einer leeren Dimension, die zu der des jeweiligen Systems als Supplement hinzutritt (Übercodierung). Ein Rhizom und eine Vielheit lassen sich aber nicht übercodieren, sie haben keine supplementäre Dimension, die zur Zahl ihrer Linien hinzutreten könnte, d.h. zur Zahlenvielheit die mit diesen Linien verbunden ist. Alle Vielheiten sind flach, insofern sie alle Dimensionen ausfüllen und besetzen. Man kann deshalb von einem Konsistenzplan der Vielheiten sprechen, obwohl die Dimensionen dieses Plans sich vermehren mit der Zahl der Konnexionen, die sich auf ihm herstellen. Vielheiten werden durch das Außen definiert: durch die abstrakte Linie, die Flucht- oder Deterritorialisierungslinie, auf der sie sich verändern, indem sie sich mit anderen verbinden. Der Konsistenzplan (Raster) ist das Außen aller Vielheiten. Die Fluchtlinie markiert gleichzeitig die Realität einer Anzahl endlicher Dimensionen, welche die Vielheit restlos ausfüllt; es ist folglich unmöglich, eine supplementäre Dimension zu konstruieren, ohne daß sich die Vielheit auf dieser Linie verändert. Es ist möglich und notwendig, alle diese Vielheiten auf ein und demselben Konsistenz- oder Äußerlichkeitsplan flachzudrücken, welche Dimensionen sie auch immer haben mögen.(Offene Ringe) Die flachen Vielheiten mit n Dimensionen sind asignifikant und nichtsubjektiv.
Das Prinzip des asignifikanten Bruchs: gegen die übersignifikanten Einschnitte, die die Strukturen voneinander trennen oder eine davon durchqueren. Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden; es wuchert entlang seinen eigenen oder anderen Linien weiter. Jedesmal, wenn segmentäre Linien in eine Fluchtlinie explodieren, gibt es Bruch im Rhizom, aber die Fluchtlinie ist selbst Teil des Rhizoms. Diese Linien verweisen ununterbrochen aufeinander. Man vollzieht einen Bruch, zieht eine Fluchtlinie; man riskiert aber immer, auch hier auf Organisationen zu stoßen, die das Ganze erneut schichten, auf Formationen, die die Macht einem Signifikanten zurückgeben, und auf Zuordnungen, die ein Subjekt wiederherstellen - alles was man will - immer wieder von neuem.
Das Prinzip der Kartographie und der Dekalkomonie: Ein Rhizom ist keinem strukturalen oder generativen Modell verpflichtet. Genetische Achse und Tiefenstruktur sind in erster Linie Prinzipien der Kopie - die Beschreibung eines status quo, der Ausgleichsprozesse in intersubjektiven Beziehungen, oder die Erforschung eines bereits vorhandenen Unbewußten, das man in die dunkeln Winkel der Erinnerung und der Sprache verbannt hat. Die Kopie beschränkt sich darauf, was je schon gegeben ist, von einer überkodierten Struktur oder stützenden Achse aus zu kopieren. Die ganze Logik des Baumes ist eine Logik der Kopie und der Reproduktion. Der Baum artikuliert und hierarchisiert die Kopien, die Kopien sind sozusagen Blätter des Baums.
Ganz anders das Rhizom: es ist Karte und nicht Kopie. Karten, nicht Kopien machen (faire la carte - das Spiel gewinnen). Die Karte reproduziert nicht ein in sich geschlossenes Unbewußtes, sondern konstruiert es. Die Karte ist offen, sie kann in allen ihren Dimensionen verbunden, demoliert und umgekehrt werden, sie ist ständig modifizierbar. Man kann sie zerreißen und umkehren; sie kann sich Montagen aller Art anpassen; sie kann von einem Individuum, einer Gruppe oder gesellschaftlichen Formationen angelegt werden. Man kann sie auf Mauern zeichnen, als Kunstwerk begreifen, als politische Aktion oder als Meditation konstruieren. Vielleicht ist es eines der wichtigsten Merkmale des Rhizoms, viele Eingänge zu haben. Eine Karte hat viele Eingänge, im Gegensatz zu einer Kopie, die immer "auf das Gleiche" hinausläuft. Eine Karte hat mit Performanz zu tun, während die Kopie immer auf eine vermeintliche "Kompetenz" verweist.
Psychoanalyse und pychoanalytische Kompetenz bringen jeden Wunsch und jede Aussage auf eine genetische Achse oder eine übercodierte Struktur herunter; sie fertige ohne Ende monotone Kopien von den Stadien auf dieser Achse oder den Bestandteilen dieser Struktur an; die Schitzoanalyse dagegen weist jeden Gedanken an ein abkopiertes Schiksal mit Entschiedenheit zurück, welchen Namen man diesem auch immer geben mag, ob man es göttlich, anagogisch, historisch, ökonomisch, struktural, hereditär oder syntagmatisch nennt.
Methode: man muß die Kopie immer auf die Karte zurückübertragen. Denn streng genommen trifft es nicht zu, daß eine Kopie die Karte genau reprodoziert. Sie gleicht eher einem Photo, einer Rundfunksendung, insofern sie das auswählt und isoliert, was sie reproduzieren will. Die Kopie hat je schon die Karte in ein Bild übersetzt, sie hat je schon das Rhizom in große und kleine Wurzeln verwandelt. Entsprechend ihren eigenen Achsen der Signifikanz und Subjektivierung hat sie die Vielheiten organisiert, stabilisiert und neutralisiert. Sie hat das Rhizom generiert und strukturalisiert; die Kopie reproduziert nur sich selbst, wenn sie glaubt etwas anderes zu reproduzieren. Gerade deshalb ist sie so gefährlich. Sie injiziert Redunanzen und verbreitet sie. Die Kopie reproduziert von einer Karte und einem Rhizom im Grunde nur die Sackgassen und Sperren, die Ansätze zu Achsen und Punkte der Strukturierung.
Ob Entwicklungsphase oder strukturales Schicksal - man macht euer Rhizom kaputt. Man läßt euch leben und sprechen - unter der Bedingung, daß alle Ausgänge verstopft sind. Wenn ein Rhizom verstopft ist, wenn man einen Baum daraus gemacht hat, dann ist es aus, dann kann der Wunsch nicht mehr strömen. Denn der Wunsch bewegt sich und produziert nur durch ein Rhizom. Jedesmal wenn der Wunsch einem Baum folgt, kommt es zu inneren Rückschlägen, die ihn zusammenbrechen lassen und in den Tod treiben. Das Rhizom dagegen wirkt auf den Wunsch durch produktive Anstöße von außen.
Deshalb ist es so wichtig, die andere Operation auszuprobieren, die umgekehrt, aber nicht symmetrisch ist. Die Kopien wieder an eine Karte anschließen, Wurzeln und Bäume auf ein Rhizom beziehen. Das Unbewußte studieren...
Man muß immer von neuem die Sackgasse auf der Karte lokalisieren und sie dadurch auf mögliche Fluchtlinien hin öffnen. Man wird nämlich oft gezwungen sein, in Sackgassen zu wenden, signifikante Mächte und Subjektivismen zu durchschreiten, sich auf ödipale, paranoide und noch schlimmere Formationen wie auf verhärtete Territorialitäten zu stützen, die andere Transformationen ermöglichen. Es gibt also die verschiedensten Verkettungen von Karten und Kopien, von Rhizomen und Wurzeln, mit variabeln Deterritorialisierungskoeffizienten. Die Bestimmung hängt hier nicht von theoretischen Analysen ab, die Universalien implizieren, sondern von einer Pragmatik, die Vielheiten oder Ensambels von Intensitäten zusammensetzt. Ein mikroskopisches Element des Wurzelbaumes oder eine Wurzelfaser setzt die Produktion des Rhizoms in Gang. Rhizomorph sein heißt, Stengel und Fasern produziren, die aussehen wie Wuzeln oder besser: die gemeinsam mit ihnen in den Stamm eindringen und einen neuen ungewöhnlichen Gebrauch von ihnen machen. Nur unterirdische Sprößlinge und Luftwurzeln, Wildwuchs und das Rhizom sind schön, politisch und verlieben sich.
Der Baum und die Wurzel zeichnen ein trauriges Bild des Denkens, das unaufhörlich, ausgehend von einer höheren Einheit, einem Zentrum oder Segment, das Viele imitiert. Der Stamm spielt die Rolle des gegenläufigen Segments. Ein solches Segment ist ein "Verbindungsdipol", im Unterschied zu den "Einheitsdipolen", die strahlenförmig von einem einzigen Zentrum ausgehen. (BILD13)!!!
Baumsysteme sind hierarchisch und enthalten Zentren der Signifikanz und Subjektivierung, Zentralautomaten, die als organisiertes Gedächtnis funktionieren. Das hat zur Folge, daß in den entsprechenden Modellen ein Element Informationen immer nur von einer höheren Einheit erhält und subjektive Wirkungen nur von bereits bestehenden Verbindungen ausgehen können. -Diktaturtheorem<- Und dies ist auch das Prinzip der Wurzelbäume oder der Ausweg, die Lösung der kleinen Wurzeln, die Struktur der Macht.
Diesen zentrierten Systemen können nicht zentrierte Systeme entgegengesetzt werden, Netzwerke endlicher Automaten (Rhizom), in denen die Kommunikation zwischen beliebigen Nachbarn verläuft, und Stengel oder Kanäle nicht schon von vornherein existieren.